LG Gießen: Elektronische Zustellung auch ohne EB?

Fehlt es an den Voraussetzungen einer wirksamen Zustellung nach § 173 ZPO gilt ein Schriftstück nach § 189 ZPO als zugestellt, wenn (1.) das Schriftstück so in den Machtbereich des Adressaten gelangt, dass er es behalten kann und Gelegenheit zur Kenntnisnahme von dessen Inhalt hat; (2.) Zustellungswille gegeben ist, das heißt eine formgerechte Zustellung vom Gericht wenigstens angestrebt worden ist; sowie (3.) zumindest konkludent ein Empfangswille dokumentiert ist. Das Schriftstück gilt dann nach § 189 ZPO an dem Tag als zugestellt, an dem die vorbenannten Voraussetzungen erfüllt sind. Hiervon sei im Falle der elektronischen Zustellung, sofern keine technischen Probleme bestehen, zuverlässig innerhalb weniger Minuten auszugehen – meint jedenfalls das LG Gießen (v.  1.12.2023 – 9 O 67/22) und schießt damit über das Ziel hinaus.

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BGH: Feierabend trotz ERV-Störung?

Kommt es zu Störungen des elektronischen Rechtsverkehrs, sieht das Gesetz eine Ersatzeinreichung vor, § 130d S. 2-3 ZPO. Die Einreichung kann also auf einem beliebigen anderen prozessrechtlich vorgesehenen Wege erfolgen – per Post, Fax oder Bote. Fraglich war lang, auf welchen Zeitpunkt es für die Beurteilung ankommt. Etwas mehr Klarheit bringt eine Entscheidung des BGH v. 25.5.2023 (V ZR 134/22). Die gute Nachricht ist: Auch wenn der elektronische Rechtsverkehr streikt, darf Feierabend gemacht werden.

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BSG zur anwaltlichen Sorgfalt bei der Kanzleiorganisation

Ein Rechtsanwalt trägt die Verantwortung dafür, dass eine fristwahrende Prozesshandlung vor dem zuständigen Gericht vorgenommen wird, im elektronischen Rechtsverkehr also an das richtige Gericht adressiert wird.
Ein Beteiligter darf zwar darauf vertrauen, dass ein Schriftsatz im ordentlichen Geschäftsgang vom unzuständigen an das zuständige Gericht weitergeleitet wird. Eine generelle Fürsorgepflicht des unzuständigen Gerichts, durch Hinweis oder andere Maßnahmen ein Fristversäumnis zu verhindern, bestehe jedoch nicht. Das hat das BSG mit Beschluss vom 5.10.2023 – B 5 R 61/23 B (veröffentlicht kostenpflichtig bei Juris) nochmals klargestellt.

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Checklisten zum elektronischen Rechtsverkehr – 5. Auflage (2023)

 

Cover der Checklisten zum elektronischen Rechtsverkehr

Die Checklisten zum elektronischen Rechtsverkehr fassen die wesentlichen Informationen zu Form- und Fristfragen zusammen und bieten einen übersichtlichen, strukturierten Überblick mit zahlreichen Grafiken und Schaubildern. Sie geben einen ausführlichen Einblick in die richterlichen Aufgaben bei der Prüfung der besonderen formellen Voraussetzungen im elektronischen Rechtsverkehr und geben Empfehlungen für Hinweispflichten und Rechtsfolgen bei Verstößen. Verfahrensbeteiligte und ihre Bevollmächtigten erhalten hierdurch wertvolle Anregungen für das eigene prozessuale Verhalten, Sorgfaltspflichten und Hinweise auf Haftungsfallen.

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Historische Entwicklung bis zum ERV-AusbauG (7. Aufl. 2022)

Der Gesetzgeber knüpft mit der neuen Definition der Bearbeitbarkeit seit 1.1.2022 u.a. an ein Urteil des LG Mannheim (vom 4. September 2020 – 1 S 29/20 m. Anm. Müller, RDi 2020, 59.) an, in dem das Gericht im Ergebnis eine .docx – Datei akzeptiert hatte, weil das eAkten-System des Gerichts damit ohne Weiteres umgehen konnte.

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Regelung zur Bearbeitbarkeit in der bis 31.12.2021 gültigen Fassung (7. Auflage)

Bis zum 31.12.2021 waren die Formvorgaben aufgrund der Verordnungsermächtigung in § 130a Abs. 2 ZPO im Wesentlichen als „Muss-Bestimmungen“ in der ERVV und gem. § 5 Abs. 1 ERVV in den Bekanntmachungen zum elektronischen Rechtsverkehr (ERVB) geregelt.
Gem. § 2 Abs. 1 ERVV i.d.F. bis 31.12.2021 war vorgeschrieben, dass das elektronische Dokument in

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BGH zu PIN-Weitergabe und Dateinamen beim beA

Zu den „sprechenden Dateinamen“ hatte sich der BGH schon in der Vergangenheit – viel kritisiert – positioniert. An seinen strengen Anforderungen hält er fest. In dem Verfahren vom 31.8.2023 – VIa ZB 24/22 kam auch noch ein Verstoß gegen § 26 Abs. 1 RAVPV hinzu; in der einreichenden Kanzlei hatte der Berufsträger die beA-Karte und die PIN an seine Mitarbeitenden weitergegeben. Erwartbar wenig Milde ließ der Senat erkennen: Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gibt es hier nicht.

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BGH konkretisiert Pflichten zur anwaltlichen Kanzleiorganisation

Sowohl im Rahmen der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, als auch bei der Ersatzeinreichung gem. § 130d ZPO kann es auf eine sorgfältige Kanzleiorganisation in Bezug auf Postausgänge des elektronischen Rechtsverkehrs ankommen. Einmal mehr hat der BGH (v. 8. September 2023 – IV ZB 4/23) die hieran zu stellenden Anforderungen konkretisiert.

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