Kurz vor Weihnachten war der Gesetzgeber im Bereich des elektronischen Rechtsverkehrs nochmals aktiv. Einige Neuerungen waren schon Gesetz, nur noch nicht in Kraft getreten. Zusätzlich verabschiedet und verkündet wurde kurz vor dem Jahreswechsel noch das Gesetz zur Entwicklung und Erprobung eines Online-Verfahrens in der Zivilgerichtsbarkeit.
Elektronische Gerichtsakten ab dem 1.1.2026
Nach der bisherigen Fassung des § 298a Abs. 1a ZPO, § 46e Abs. 1a ArbGG, § 55b Abs. 1 VwGO, § 65b Abs. 1a SGG und § 52b Abs. 1a FGO, sowie § 32 Abs. 1a StPO sind die Gerichtsakte ab dem 1.1.2026 elektronisch zu führen. Unbeschadet landesrechtlicher Regelungen, handelt es sich insoweit zunächst um eine Stichtagsregelung, d.h. die Norm gilt zunächst nur für Neuklagen und Neuanträge ab dem 1.1.2026.
Spätestens durch das Gesetz zur weiteren Digitalisierung der Justiz vom 12.07.2024 wurde zusätzlich die Möglichkeit eröffnet, durch Rechtsverordnung zu bestimmen, dass Akten, die in Papierform angelegt wurden, ab einem bestimmten Stichtag in elektronischer Form weitergeführt werden. Auch der rückwirkende Scan der Papierakten ist denkbar, wenn auch technisch und personell aufwendig.
Zum 01.01.2026 wird durch Art. 12 Abs. 1 des Gesetzes zur Einführung einer elektronischen Akte in der Justiz und zur weiteren Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs der bisherige Absatz 1 aufgehoben und Absatz 1a zu Absatz 1, wobei die Wörter „ab dem 1. Januar 2026“ gestrichen . Ein Opt-Out durch Landesrechtsverordnung ist möglich, aber maximal bis 1.1.2027. Hiervon haben nur wenige Bundesländer (und die auch nur teilweise) Gebrauch gemacht (vor allem Sachsen-Anhalt, aber bspw. auch Niedersachsen in Bußgeldangelegenheiten).
Entgegen eines weit verbreiteten Missverständnisses ist ab 1.1.2026 nur die elektronische Gerichtsaktenführung verpflichtend. Anders als die Verfahrensbeteiligten besteht keine aktive Nutzungspflicht für die Gerichte im elektronischen Rechtsverkehr. Gerichte können also auch über den 1.1.2026 hinaus Briefpost und sogar Telefaxe, sowie elektronische Dokumente in nahezu allen Dateiformaten verschicken – organisatorisch sinnvoll ist das freilich selten, weshalb die analoge Kommunikation faktisch deutlich zurückgedrängt werden dürfte.
Akteneinsicht in Gerichtsakten dürfte dagegen stets elektronisch zu nehmen sein, um Einblick in „das Original“ der Akte zu haben.
Die elektronische Aktenführung gilt nur für die Gerichtsakte selbst. Beweismittel (bspw. auch im öffentlich-rechtlichen Prozess beigezogene Papierbehördenakten) werden nicht zwangsläufig digitalisiert. Insoweit gilt der beweisrechtliche „Grundsatz der Formattreue„.
Gesetz zur Entwicklung und Erprobung eines Online-Verfahrens in der Zivilgerichtsbarkeit
Durch den Gesetzentwurf ist schwerpunktmäßig beabsichtigt, im Wege eines zivilgerichtlichen Online-Verfahrens Bürgerinnen und Bürgern zu ermöglichen, ihre Ansprüche im Bereich niedriger Streitwerte in einem einfachen, nutzerfreundlichen, barrierefreien und digital unterstützten Gerichtsverfahren geltend zu machen. Zugleich soll das Online-Verfahren dazu beitragen, die Arbeit an den Gerichten durch eine strukturierte Erfassung des Prozessstoffs und technische Unterstützungswerkzeuge effizienter und moderner zu gestalten. Eine ressourcenschonende Bearbeitung soll dabei vor allem im Bereich sogenannter Massenverfahren, aber auch generell für die Geltendmachung von Geldforderungen vor den Amtsgerichten erzielt werden.
Die neuen digitalen Kommunikationsformen mit der Justiz im Online-Verfahren sollen auch auf Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte erstreckt werden, wobei die bestehende Infrastruktur zum besonderen elektronischen Anwaltspostfach (beA) genutzt werden soll. Bei der Umsetzung eines Online-Verfahrens besteht die Herausforderung, dass die technische Landschaft der Justiz mit ihren föderalen Strukturen heterogene Anforderungen mit sich bringt. Daher sollen zunächst durch eine Erprobungsgesetzgebung Freiräume geschaffen werden, um in einem begrenzten Anwendungsbereich bundeseinheitlich und zeitlich befristet neue Verfahrensabläufe und moderne Technologien zu erproben und so die fortschreitende Modernisierung des Zivilprozesses zu unterstützen. Das Gesetz greift damit das Instrument der sogenannten Reallabore auf, mit denen Test- und Experimentierräume zur Erprobung neuer Technologien unter realen Bedingungen mit dem Ziel eines regulatorischen Erkenntnisgewinns geschaffen werden. Welche Gerichte an der Erprobung teilnehmen, bestimmen die Landesjustizverwaltungen durch Rechtsverordnung.
Konkret mit Blick auf den elektronischen Rechtsverkehr werden gesetzliche Rahmenbedingungen für die Nutzung neuer digitaler Eingabesysteme bei einer Klageerhebung und der weiteren Kommunikation im Zivilprozess zu schaffen. Diese sollen anders als bisher plattformbasiert sein. Die Kommunikationsplattform („KomPla“) steht insoweit für einen gleichzeitigen und gemeinsamen Zugriff der Verfahrensbeteiligten und dem Gericht zur Verfügung. Insbesondere können die Verfahrensbeteiligten ihre hochgeladenen Dokumente nach eigenem Ermessen nur für das Gericht oder sofort für alle Beteiligten freigeben. Zeitaufwendige Weiterleitungsverfügungen und -prozesse in den Gerichten entfallen hierdurch im schriftlichen Vorverfahren. Eine ständige Akteneinsicht auf alle freigegebenen Dokumente auf der „KomPla“ ist jederzeit und ohne Antrag möglich. Gerade letzteres ist ein immer wieder geäußertes zentrales Anliegen aus der Rechtsanwaltschaft.
Es soll im Übrigen eine Öffnung der Zivilprozessordnung für eine verstärkte Nutzung digitaler Kommunikationstechnik, insbesondere durch eine Ausweitung von Verfahren ohne mündliche Verhandlung und von Videoverhandlungen, einer digitalen Strukturierung des Streitstoffs sowie durch Erleichterungen im Beweisverfahren erfolgen.
RIP De-Mail
Über die Erprobung hinaus wird mit diesem Gesetz auch die De-Mail als sicherer Übermittlungsweg aus § 130a Abs. 4 Nr. 1 ZPO gestrichen. Der Streichung kommt letztlich aber nur noch eine deklaratorische Bedeutung zu, nachdem durch die Abschaltung des sog. De-Mail – Gateways die Gericht ohnehin nicht mehr über diesen Übermittlungsweg erreichbar sind. Für die Technik der De-Mail an sich, dürfte dies der finale Todesstoß sein. Zweckmäßige Folgeänderungen in § 371a Abs. 2 ZPO sind derzeit noch nicht beabsichtigt.
Ausgeweitete aktive Nutzungspflicht
Der Kreis derjenigen Personen, die zur Einreichung elektronischer Dokumente verpflichtet sind, ist in § 65d SGG, § 55d VwGO, § 52b FGO und § 46g ArbGG abschließend aufgezählt. Lediglich über die Einrichtung weiterer sicherer Übermittlungswege nach § 65a Abs. 4 Nr. 2 SGG (und die Entsprechungen in den weiteren Fachgerichtsordnungen) kann dieser Kreis mittelbar erweitert werden, so geschehen für Steuerberater seit dem 1.1.2023.
Zum 1.1.2026 wird der Kreis der Nutzungspflichtigen um nahezu alle vertretungsberechtigten Personen erweitert. In der ab dem 1.1.2026 gültigen Fassung verweist § 65d Satz 2 SGG (und seine Entsprechungen) neben § 65a Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 SGG auch auf Nr. 4, sodass ab diesem Zeitpunkt fast alle nach dem SGG vertretungsberechtigten Personen und Bevollmächtigten zur Nutzung des elektronischen Rechtsverkehrs verpflichtet sind. Betroffen sind davon bspw. in der Sozialgerichtsbarkeit vor allem Rentenberater, Sozial- und Arbeitgeberverbände, Gewerkschaften und vertretungsberechtigte Hochschullehrer.
Der Bezugnahme auf § 65a Abs. 4 Satz 1 Nr. 4 SGG kommt keine eigenständige Bedeutung zu. Jede der in § 73 Abs. 2 SGG genannten sonstigen vertretungsberechtigten Personen kann ein elektronisches Bürger- und Organisationspostfach (eBO) nach § 65a Abs. 4 Satz 1 Nr. 4 SGG beantragen. Keinesfalls kann hieraus eine Einschränkung dahingehend hergeleitet werden, dass der vertretungsberechtigten Person ein eBO auch tatsächlich zur Verfügung stehen muss.
Ausgenommen sind letztlich neben den Bürgerinnen und Bürgern selbst nur noch wenige Vertretungsberechtigte, die nicht entgeltlich eine Prozessvertretung übernehmen (bspw. gem. § 65d Satz 2 HS. 2 SGG (nur die) nach § 73 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 HS. 1 oder Nr. 2 SGG vertretungsbefugte Personen (Beschäftigte eines Beteiligten, sowie volljährige Familienangehörige (§ 15 AO, § 11 LPartG), Personen mit Befähigung
zum Richteramt und Streitgenossen, wenn die Vertretung nicht im Zusammenhang mit einer entgeltlichen Tätigkeit steht).
Allen Leserinnen und Lesern von ervjustiz.de wünsche ich ein glückliches, friedliches und gesundes neues Jahr 🍀
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