Zwangsvollstreckungsverfahren nach dem Justizbeitreibungsgesetz: Anlaufschwierigkeiten und eine Gesetzeslücke (?) im elektronischen Rechtsverkehr

Ein Gastbeitrag von OStA Matthias Kegel, Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg. *** Update am 20.06.2023 ***

Weitgehend unbemerkt und abseits der juristischen und praktischen Probleme des ERV in den Prozessordnungen stottert der elektronische Rechtsverkehr seit dem 1. Januar 2022 im Zwangsvollstreckungsverfahren nach dem Justizbeitreibungsgesetz (JBeitrG). Staatsanwaltschaften (§ 459 StPO), Gerichte, Gerichtskassen, weitere Justizbehörden und andere Behörden treiben Forderungen wie Geldstrafen, Geldbußen, Kosten, Ordnungs- und Zwangsgelder und weitere Ansprüche nach den Vorschriften des Justizbeitreibungsgesetzes ein. Hierzu erteilen sie den Gerichtsvollziehern gemäß §§ 6 (hier wird der Gerichtsvollzieher in Amtshilfe tätig) und 7 JBeitrG Vollstreckungsaufträge, die den vollstreckbaren Schuldtitel ersetzen.

Mit Beschluss vom 6. April 2023 – I ZB 84/22 – ist der BGH der hier vertretenen Auffassung beigetreten (Pressemitteilung, Entscheidung im Volltext).

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Ersatzeinreichung – Vorübergehende Unmöglichkeit ist darzulegen

Die Ersatzeinreichungsmöglichkeit bei vorübergehender Unmöglichkeit der elektronischen Übermittlung gem. § 130d ZPO erlaubt ausnahmsweise die Übersendung eines Schriftsatzes per Telefax, Briefpost oder Boten – trotz aktiver Nutzungspflicht des elektronischen Rechtsverkehrs. Damit das Gericht dies akzeptiert, ist es aber erforderlich, dass die tatsächlichen Umstände jedenfalls dargelegt werden. Das LG Arnsberg (v. 6.7.2022 – 3 Ns-360 Js 24/21-73/22) konnte deshalb in nur wenigen Worten eine Berufung als unzulässig verwerfen.

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§ 130d ZPO: Wie lange ist eigentlich „vorübergehend“?

Die Störung der Telefon- und Internetverbindung des Unterzeichners ist von der Deutschen Telekom bisher nicht beseitigt worden; ein Bautrupp hat sich für den 30. März 2022 angesagt, so dass hier lediglich ein Faxgerät von Dritten zur Verfügung steht. Dies wird anwaltlich versichert.„, war der Vortrag eines Rechtsanwalts in einem Verfahren vor dem OVG Münster (v. 6.7.2022 – 16 B 413/22). Insgesamt kam der Rechtsanwalt damit auf eine „vorübergehende“ Störung von über fünf Wochen. Fraglich ist, ob ihn dies zur Ersatzeinreichung gem. § 130d S. 3, 4 ZPO (= § 55d S. 3, 4 VwGO) berechtigt.

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VG Halle: Kein formwirksames Weiterreichen von beA-Irrläufern

Die Klageschrift war an das Verwaltungsgericht adressiert, per beA abgesandt wurde sie aber an das Amtsgericht. Was genau geschah, bleibt im knappen Tatbestand unklar. Möglicherweise wurde auf § 55a Abs. 3 2. Var. VwGO (= § 130a Abs. 3 2. Var. ZPO) für die Versendung zurückgegriffen, dass nicht auf eine qualifizierte elektronische Signatur, sondern der Rechtsanwalt übersandte den Schriftsatz selbst mit einfacher Signatur aus seinem beA. Evtl. war aber auch eine vorhandene qeS nicht vom Amtsgericht an das VG weitergeleitet worden. Jedenfalls meint das VG Halle (v. 15.11.2021 – 5 A 235/21) durch den Eingang beim Amtsgericht sei der sichere Übermittlungsweg „unterbrochen“ gewesen und daher die Authentizität nicht mehr sicher prüfbar.

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Viel Grundsätzliches zum ERV vom BAG

Mit Beschluss vom 25. April 2022 – 3 AZB 2/22 hat das BAG gleich mehrere grundsätzliche Formfragen im elektronischen Rechtsverkehr beantwortet und sich im Vergleich zu früheren Entscheidungen überraschende milde positioniert. Insbesondere enthält der Beschluss Hinweise zu den Anforderungen durchsuchbarer und kopierbarer Dokumente, sowie eingebetteten Schriftarten. Ferner äußert sich das BAG zur Wirksamkeit der ERVB und zu den Fristen des § 130a Abs. 6 ZPO.

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Aktive Nutzungspflicht gilt für alle Rechtsanwälte – auch bei Mehrfachzulassungen

Seit dem 1.1.2022 gilt für Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte die aktive Nutzungspflicht des elektronischen Rechtsverkehrs im Prozessrecht. Dies regelt für den Bereich der Zivilprozessordnung § 130d ZPO. Im Wesentlichen wortgleiche Regelungen enthalten sämtliche Prozessordnungen. Der sachliche Anwendungsbereich ist umfassend (siehe hier). Hinsichtlich des persönlichen Anwendungsbereichs ist derzeit noch umstritten, ob alle Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte kraft ihrer Zulassung zur Rechtsanwaltschaft aktiv nutzungspflichtig sind oder, ob sie sich auch „einen anderen Hut“ aufsetzen können; ein Meinungsstreit besteht bspw. für Syndikusrechtsanwälte. Dazu, ob auch Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte, die auch Wirtschaftsprüfer oder Steuerberater sind, aktiv nutzungspflichtig sind, hat sich nun das FG Berlin-Brandenburg geäußert (Beschluss v. 8.3.2022 – 8 V 8020/22 – kostenpflichtig bei Juris).

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BSG: Einfache Signatur muss identifizierbar sein.

Bei Nutzung eines sicheren Übermittlungswegs kann gem. § 130a Abs. 3 2. Var. ZPO auf eine qualifizierte elektronische Signatur verzichtet werden. Es genügt dann die einfache Signatur unter dem Schriftsatz, wenn die verantwortende Person den Schriftsatz selbst versendet. Die einfache Signatur ist nach allgemeiner Meinung der maschinenschriftliche Name oder die eingescannte Unterschrift. Das BSG (Beschluss vom 16. Februar 2022 – B 5 R 198/21 B – kostenpflichtig über juris) verschärft hier nun die Anforderung: Die eingescannte Unterschrift muss auch entzifferbar sein, um die Verantwortende Person identifizierbar zu machen.

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Aktive Nutzungspflicht auch für Nebenanträge

Die aktive Nutzungspflicht des elektronischen Rechtsverkehrs besteht nicht nur für die Einlegung einer Klage, sondern auch für weitere formbedürftige Anträge und Erklärungen im gerichtlichen Verfahren. Hierzu häufen sich aktuell gerichtliche Entscheidungen, weshalb offenbar Unsicherheit hierüber herrscht.

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ArbG Stuttgart zu schriftlichem Vergleich per beA

Gem. § 278 Abs. 6 ZPO kann ein gerichtlicher Vergleich auch dadurch geschlossen werden, dass die Parteien dem Gericht einen schriftlichen Vergleichsvorschlag unterbreiten oder einen schriftlichen oder zu Protokoll der mündlichen Verhandlung erklärten Vergleichsvorschlag des Gerichts durch Schriftsatz annehmen. Mit Beschluss vom 25. Februar 2022 – 4 Ca 688/22 – hat das ArbG Stuttgart klargestellt, dass § 278 Abs. 6 ZPO kein materielles Schriftformerfordernis im Sinne von §§ 126, 126a BGB enthält – mit der Folge, dass eine qualifizierte elektronische Signatur erforderlich wäre. Vielmehr ist die prozessuale Schriftsatzform ausreichend, also auch die Nutzung des beA als sicherer Übermittlungsweg mit der bloß einfachen Signatur.

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Ab 1.4.2022: Erhöhte Größenbeschränkung für EGVP

Die Größen- und Mengenbeschränkungen der EGVP-Infrastruktur ist das Nadelöhr des elektronischen Rechtsverkehrs. Insbesondere bei der Übermittlung von Akten oder elektronischen Beweismitteln stoßen Verfahrensbeteiligte und Gerichte schnell an diese Grenzen. Die Aufteilung auf mehrere EGVP-Nachrichten war dann die einzige, aber ungeliebte Übermittlungsmöglichkeit. Ab 1.4.2022 gelten (endlich) neue Regeln.

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