Mit Beschluss vom 25. April 2022 – 3 AZB 2/22 hat das BAG gleich mehrere grundsätzliche Formfragen im elektronischen Rechtsverkehr beantwortet und sich im Vergleich zu früheren Entscheidungen überraschende milde positioniert. Insbesondere enthält der Beschluss Hinweise zu den Anforderungen durchsuchbarer und kopierbarer Dokumente, sowie eingebetteten Schriftarten. Ferner äußert sich das BAG zur Wirksamkeit der ERVB und zu den Fristen des § 130a Abs. 6 ZPO.
Kategorie: Rechtsprechung
aktuelle Rechtsprechung zum ERV
Aktive Nutzungspflicht gilt für alle Rechtsanwälte – auch bei Mehrfachzulassungen
Seit dem 1.1.2022 gilt für Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte die aktive Nutzungspflicht des elektronischen Rechtsverkehrs im Prozessrecht. Dies regelt für den Bereich der Zivilprozessordnung § 130d ZPO. Im Wesentlichen wortgleiche Regelungen enthalten sämtliche Prozessordnungen. Der sachliche Anwendungsbereich ist umfassend (siehe hier). Hinsichtlich des persönlichen Anwendungsbereichs ist derzeit noch umstritten, ob alle Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte kraft ihrer Zulassung zur Rechtsanwaltschaft aktiv nutzungspflichtig sind oder, ob sie sich auch „einen anderen Hut“ aufsetzen können; ein Meinungsstreit besteht bspw. für Syndikusrechtsanwälte. Dazu, ob auch Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte, die auch Wirtschaftsprüfer oder Steuerberater sind, aktiv nutzungspflichtig sind, hat sich nun das FG Berlin-Brandenburg geäußert (Beschluss v. 8.3.2022 – 8 V 8020/22 – kostenpflichtig bei Juris).
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LSG Schleswig-Holstein restriktiv zum ERV im Verwaltungsverfahren
Während der elektronische Rechtsverkehr im gerichtlichen Verfahren nicht nur mittlerweile durchaus etabliert, sondern sogar verpflichtend ist, ist der elektronische Rechtsverkehr im Verwaltungs- und Widerspruchsverfahren daran gebunden, dass der Empfänger (in diesem Fall die Behörde), den elektronischen Rechtsverkehr „eröffnet“ hat, § 3a VwVfG bzw. § 36a SGB I. Das LSG Schleswig-Holstein – v. 29.10.2021 – L 3 AS 108/20(LSG_SH_29102021) meint, dass hieran hohe Anforderungen zu stellen ist. Ob das gerade auch für das Widerspruchsverfahren gilt ist aber mehr als fraglich. Entsprechend wirkt die Entscheidung hinsichtlich ihrer Begründung etwas aus der Zeit gefallen; erfreulich ist aber, dass die Revision zugelassen ist. So kann das BSG demnächst für Klarheit sorgen. Die Revision ist dort unter dem Aktenzeichen B 7 AS 10/22 R anhängig.
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BSG: Einfache Signatur muss identifizierbar sein.
Bei Nutzung eines sicheren Übermittlungswegs kann gem. § 130a Abs. 3 2. Var. ZPO auf eine qualifizierte elektronische Signatur verzichtet werden. Es genügt dann die einfache Signatur unter dem Schriftsatz, wenn die verantwortende Person den Schriftsatz selbst versendet. Die einfache Signatur ist nach allgemeiner Meinung der maschinenschriftliche Name oder die eingescannte Unterschrift. Das BSG (Beschluss vom 16. Februar 2022 – B 5 R 198/21 B – kostenpflichtig über juris) verschärft hier nun die Anforderung: Die eingescannte Unterschrift muss auch entzifferbar sein, um die Verantwortende Person identifizierbar zu machen.
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Aktive Nutzungspflicht auch für Nebenanträge
Die aktive Nutzungspflicht des elektronischen Rechtsverkehrs besteht nicht nur für die Einlegung einer Klage, sondern auch für weitere formbedürftige Anträge und Erklärungen im gerichtlichen Verfahren. Hierzu häufen sich aktuell gerichtliche Entscheidungen, weshalb offenbar Unsicherheit hierüber herrscht.
ArbG Stuttgart zu schriftlichem Vergleich per beA
Gem. § 278 Abs. 6 ZPO kann ein gerichtlicher Vergleich auch dadurch geschlossen werden, dass die Parteien dem Gericht einen schriftlichen Vergleichsvorschlag unterbreiten oder einen schriftlichen oder zu Protokoll der mündlichen Verhandlung erklärten Vergleichsvorschlag des Gerichts durch Schriftsatz annehmen. Mit Beschluss vom 25. Februar 2022 – 4 Ca 688/22 – hat das ArbG Stuttgart klargestellt, dass § 278 Abs. 6 ZPO kein materielles Schriftformerfordernis im Sinne von §§ 126, 126a BGB enthält – mit der Folge, dass eine qualifizierte elektronische Signatur erforderlich wäre. Vielmehr ist die prozessuale Schriftsatzform ausreichend, also auch die Nutzung des beA als sicherer Übermittlungsweg mit der bloß einfachen Signatur.
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Papier durch Gerichte nicht (mehr) bearbeitbar
Seit dem 1.1.2022 gilt für Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte sowie für Behörden die aktive Nutzungspflicht des elektronischen Rechtsverkehrs, § 130d ZPO. Aber was passiert eigentlich, wenn sich ein aktiv nutzungspflichtiger Einreicher nicht an die Pflicht hält. Dann ist die prozessuale Form nicht gewarnt, stellt zu Recht das VG Frankfurt/Oder (v. 19.1.2022 – 10 L 10/22.A – kostenpflichtig bei Juris abrufbar). Insbesondere gibt es kaum Heilungsmöglichkeiten.
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LAG Düsseldorf relativiert ERV-Formanforderungen
Die Formvorschriften im elektronischen Rechtsverkehr, allen voran die Frage der Notwendigkeit der Einbettung von Schriftarten, hält auch weiter vor allem die Arbeitsgerichtsbarkeit auf Trab. Das LAG Düsseldorf (Urteil v. 24.8.2021 – 14 Sa 190/21 – noch nicht veröffentlicht) geht in Anlehnung an die Rechtsprechung des OLG Koblenz und es LG Mannheim mit sehr überzeugender Begründung davon aus, dass die Formanforderungen verhältnismäßig sein müssen. Erledigt haben sich diese Anforderungen erst für Schriftsätze ab dem 1.1.2022 – dann werden die meisten Formvorschriften von „Muss-“ zu „Soll-Vorschriften“.
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SG Gießen zur Akteneinsicht in xJustiz-Akten
Sowohl im sozialgerichtlichen Verfahren als auch im Widerspruchsverfahren ist die Behördenakte ein wichtiges Beweismittel. Entsprechend zentral für eine Widerspruchs- oder Klagebegründung ist die vorherige Akteneinsicht in die Behördenakte. Die Bundesagentur für Arbeit (BA) und das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) übermitteln ihre elektronische Behördenakten als Einzel-PDF – Dateien, deren Kontext durch einen sog. xJustiz-Datensatz hergestellt wird. Für deren Anzeige wird daher ein xJustiz-Viewer benötigt. Dass durch Übermittelung einer solchen xJustiz-Akte ausreichend Akteneinsicht ausreichend Akteneinsicht gewährt wird, hat nun das SG Gießen (Gerichtsbescheid v. 5. November 2021 – S 20 AL 70/21) entschieden.
LG Lübeck: Mehrere Dokumente, aber keine Containersignatur
Die Regelung des § 4 Abs. 2 ERVV, die zum Ausschluss der sog. Containersignatur führt, ist sprachlich misslungen und führt daher immer wieder zu Missverständnissen und entsprechender Rechtsprechung. Mit einem Missverständnis hat das LG Lübeck (Beschluss v. 14.7.2021 – 7 T 293/21 – kostenpflichtig bei Juris abrufbar) nun richtigerweise aufgeräumt: Fasst ein Einsender mehrere gescannte Papierdokumente in einer PDF-Datei zusammen, ist die qualifizierte elektronische Signatur dieser PDF-Datei keine ausgeschlossene Containersignatur im Sinne des § 4 Abs. 2 ERVV.
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